Diese Frage kommt mir in den Sinn angesichts des relativ langsam verlaufenden Sterbeprozesses meines alten Katers Arnie, dem einäugigen Banditen. Noch vor wenigen Tagen stand ich etwas ratlos in der Tierarztpraxis und die Frage nach einer sofortigen Euthanasie stand im Raum. Was tun wir jetzt? – Ich wünsche mir ein normales Sterben für mein Tier, sagte ich. Und ein Sterben ohne Leid oder Qual. Wie in der Palliativversorgung des Menschen wollte auch ich Schmerzen für meinen schnurrenden Freund medikamentös ausschalten. Nur für den Fall, dass dies nicht gelingt, wäre die Euthanasie, das sanfte Einschläfern, meine Wahl.
Jeden Tag schaue ich nun vielfach auf Arnie, der sich nur noch im kalten Badezimmer aufhält. Der Rückzug ins Kühle, ins Abseits ist oft ein untrügliches Zeichen für den Beginn der aktiven Sterbephase. Nach dem tibetischen Totenbuch zerfällt das Erdelement im Wasser. Weitere Phasen folgen. Ich wünschte, ich wäre in der homöopathischen Sterbegleitung bewandert und könnte noch mehr für mein Tier tun, ihn noch mehr unterstützen. So bleibt mir nur, da zu sein, zu streicheln, mit ihm zu sprechen und ihm die Tage so angenehm wie möglich zu machen.
Die Frage, wie lange er noch da sein wird, beschäftigt mich. Wie viel Zeit werden wir noch haben? Werden wir es gemeinsam schaffen ohne tödliche Injektion?
Arnie hat keine Eile. Manchmal denke ich, dass meine Tiere es hier wohl sehr schön finden bei mir, mit ihren Freunden, in der Stille und der Natur. Vielleicht sind die Bande sehr stark, die sie hier halten? – Ich weiß es nicht. Jedenfalls werden sie immer sehr alt. :-)
Doch überlege ich mir auch, wie viele Menschen wohl ihr Tier bereits an dem Punkt der grausigen Diagnosestellung einschläfern lassen. Vorzeitig. Unnötig. Ganz sicher jedoch in einer guten Absicht. Ich kenne Berichte und Fallbeispiele, in der das Einschläfern zum Kampf wird und alles andere als sanft ist. Und ich denke weiter als jemand, der viel Umgang mit Tierhaltern: Wie oft wohl ein Tier eingeschläfert wird, weil es der Mensch daneben einfach nicht aushält? Es nicht erträgt? – Es sind ja unsere Vorstellungen, unsere Emotionen, unsere Einstellungen, die sich in Entscheidungen widerspiegeln. Und diese sind meist nie objektiv. Die Zeit des Sterbens ist auch eine intensive Zeit des Abschiednehmens, der Erinnerung und der Dankbarkeit. Ich bin froh, dass ich diese Zeit mit meinem Arnie habe. Er strahlt Ruhe, Frieden, Gleichmut und Gelassenheit aus. Die Schmerzen sind ausgeschaltet, was sich auch darin zeigt, dass er etwas frisst und trinkt. Natürlich bekommt er nur das Allerbeste und seine Freundin Jumi ist manchmal ganz neidisch. ;-)
Ich bin glücklich darüber, etwas über Sterben und Sterbephasen zu wissen, weil ich dadurch einschätzen kann, wo wir stehen oder ob er gar leidet. Bis jetzt ist es nicht so. Alles ist im Fluss. Alles ist gut.
Zu spät zu sein, also Leid und Qual seines Tieres zuzulassen, weil der Mensch einfach fürchterlich klammert, davor habe ich keine Angst. Doch gibt es das auch. Das eigene Ego lässt den Verlust einfach nicht zu. Es geht dabei nicht ums Tier, sondern allein um die Gefühle des Menschen. Letztlich spielt es jedoch keine Rolle: Zu früh – zu spät, der Mensch ist der Macher. Der Entscheider. Es ist ganz klar eine „Macht“, über Leben und Tod entscheiden zu können, die viele gar nicht tragen können, nicht wollen, dazu aber gedrängt werden.
Je mehr wir das Sterben als natürlichen Prozess auch bei unseren Tieren begreifen, je mehr wir unser Ego und unsere eigenen Gefühle bei sowas außen vor lassen können, desto bessere Entscheidungen können wir für unsere Beziehungspartner „Tiere“ treffen. Denn manchmal müssen wir gar keine Entscheidungen treffen, sondern können einfach loslassen und die Dinge sich entwickeln lassen. Palliativversorgung und Schmerztherapie müssen dabei auch bei unseren Tieren eine viel zentralere Rolle spielen als es bisher der Fall ist.
Arnie und ich haben alles geklärt. Ich habe mich für jene Tage, Momente, in denen ich vielleicht achtlos war oder genervt reagierte, entschuldigt. Und er hat vergeben. So einfach ist das bei Tieren.
Ich bin kein Gott, kein Buddha, nicht das Universum: Ich bin froh, solche Entscheidungen über Tod oder Leben nicht oder nur im Ausnahmefall treffen zu müssen. Und diese „Ausnahme“ gilt nur für den Fall von unstillbarem Leid, Schmerz oder eines dauerhaft massiv eingeschränkten Lebens ohne Qualität. Und ja, meine (alten) Tiere dürfen mitreden. Und sie reden und reden und reden … ;-) Gut so!
Eure Claudia